Die Konversion
Im Frühjahr 1940 kommt der junge Jesuit Hans Urs von Balthasar als Studentenseelsorger nach Basel. Ein gemeinsamer Freund vermittelt die Begegnung zwischen Adrienne und ihm. Auf der Terrasse über dem Rhein sprechen sie über die katholischen Dichter Claudel und Peguy, die Balthasar gerade ins Deutsche übersetzte.
Dabei äußert sie den Wunsch, katholisch werden zu wollen. Im folgenden Unterricht ist es, als wenn Schleusen geöffnet würden: alles, was ihr vorgetragen wird, scheint sie schon gewusst zu haben, so dass sie es nur zu bejahen braucht. Am 1. Nov., dem Fest Allerheiligen, wird sie getauft unter der Voraussetzung, dass ihre frühere Taufe ungültig gewesen sei. Prof. Albert Beguin, er wird später ihr Firmpate, hilft ihr in der ersten Zeit, als die durch die Konversion geschockte Familie sich zunächst von ihr abwendet.
Sofort nach ihrer Konversion bricht ein wahrer Sturm mystischer Erfahrungen über sie herein. Auf der Heimfahrt von ihrer Praxis im Auto sieht sie plötzlich ein helles Licht vor sich, hält an und hört eine Stimme: “Tu vivras au ciel et sur la terre“.
Tägliche Erscheinungen der Muttergottes, des hl. Ignatius, unzähliger anderer Heiliger und Engel, ein ganz vertrauter und natürlicher Umgang mit ihnen, tiefste Gebetserfahrungen, tiefste Einblicke in das Geschehen des Karfreitags und besonders, ganz neu, auch des Karsamstags. Sie hat das Charisma, jedem Heiligen des Himmels zu begegnen und zu befragen, wenn sie es möchte. Oft kennt sie nicht ihre Namen, beschreibt sie aber so genau, dass es Hans Urs möglich ist, sie zu identifizieren.
Die Praxis
In ihrer Praxis an der mittleren Rheinbrücke, die sie seit 1931 ausübt, Sprechstunden in den Nachmittagsstunden bis gegen Abend mit bis zu 50-80 Patienten. Dabei hat sie die Gabe, die Zustände der Seelen der Menschen zu erkennen und entsprechend helfen zu können. Auch scheint die Zeit stillzustehen. Obwohl sie objektiv nur wenige Minuten Zeit für jeden Patienten hat, hat jeder das Gefühl, dass sie Stunden mit ihm gesprochen und alles gesagt hat, was zu sagen war.
Ihr Ruf, auch in ausweglosen Fällen Hilfe Leisten zu können, breitet sich in ganz Basel aus.
Dabei beschränkt sie sich nicht auf das rein Medizinische, sondern behandelt den ganzen Menschen, heilt Ehen, verhütet an die tausend Abtreibungen, sorgt für die ledigen Mütter, behandelt die Armen umsonst.

Zu Tode erschöpft kommt sie heim. Geschickt versteht sie es, ihren Zustand vor allen Freunden, sogar vor ihrem Mann, zu verbergen. Auch ihre Wundmale an den Händen hält sie verborgen. Sie empfindet eine eigenartige Scham vor Entdeckung. In den Jahren entwickeln sich Freundschaften mit Romano Guardini, Hugo Rahner, Henri de Lubac, Annette Kolb, Reinhold Schneider, Gabriel Marcel. Allmählich gewinnt sie auch wieder die Zuneigung ihrer Familie, besonders auch die der Mutter, die sie immer öfter besuchen kommt.
Beispiele ihrer Mystik
Während eines Aufenthalts am Neuenburger See im Jahre 1945 erlebt sie die Apokalypse, sieht und hört die Visionen, die der Apostel Johannes erlebt hat. Sie hat die Apokalypse bisher nie gelesen, ist voller Angst, weiß daher zunächst nicht, um was es sich handelt, ist dann überrascht zu hören, dass sie die Apokalypse erlebt. Die Bilder sehend, den Text hörend, legt sie ihn sofort aus, niedergelegt im Buch "Die Apokalypse".
Sie wohnt täglich der hl.Messe bei, in späteren Jahren, erschöpft von Krankheit und durchlittenen Nächten, von ihrem Bett aus. Ein Engel bringt ihr dann die Kommunion. Während der Messen sieht sie, wie Engel den Priester während der ganzen Messe umgeben, wie Christus und Maria anwesend sind, und wie sich während jeder Eucharistie der Himmel öffnet und alle Heiligen den Altar wie eine bis in den Himmel reichende Traube umgeben. Maria sagt ihr, dass sie auch bei jedem protestantischen Gottesdienst anwesend sei, weil ihr Sohn anwesend sei.
In einer Vision vom Protestantismus wird ihr gezeigt, dass durch die Austreibung Marias aus der Gemeinschaft auch Christus unlebendig und abstrakt wird. "Denn wenn man ihm die Liebe zu seiner Mutter nimmt, raubt man ihm gleichsam die irdische Basis seiner Liebe. ....Trotzdem ist Maria auch als Unverstandene den Protestanten nahe, und wenn einer konvertiert, dann geschieht es durch sie."
Eine andere Vision: beim Austeilen der Kommunion steht Maria neben dem Priester. Dann sieht Adrienne den Priester nicht mehr, nur noch Christus, und wie Christus in jeden Kommunizierenden eingeht. Und dann Maria, wie sie in jedem, der die Kommunion empfängt, ebenfalls den Herrn empfängt, um für den Betreffenden die Gnade gleichsam aufzubewahren, um sie ihm später wiedergeben zu können, wenn er sie verloren hat.
Eine Vision, allein in der Kirche: bei einem zufälligen Blick in die Kuppel sieht sie inmitten von Wolken eine Fülle von Engeln und Heiligen, in der Mitte Christus. Es ist eine ungeheure Anbetung des Himmels, es ist, als kehrten alle zurück von ihren Taten zum Ursprung ihrer Taten.
Sie versteht auf einmal, dass die guten Werke notwendig sind wie das Gebet. Die Taten sind auch Gnade wie das Gebet, Christus wirkt sie durch uns hindurch. Aber er braucht uns dazu. Und alle Gnaden, die Er uns schenkt, sind für diese Werke da, um Ihn durch sie den Menschen nahe zu bringen.
Adrienne hat durch die Visionen das Gefühl, absolut zum Himmel dazuzugehören. Es ist, als wenn nur eine kleine Änderung des Blickwinkels erforderlich wäre, um im Himmel zu sein. Und sie weiß: wer auf Erden in der Gnade lebt, lebt eigentlich im Himmel, sieht es bloß noch nicht. "Es ist wie ein dünner Schleier", der vom Himmel trennt. „Wie eine Handtuchbreite,“ sagt sie einmal.
Tod
Sie stirbt 1967 an ihrem 65.Geburtstag nach schwerer mit großer Geduld ertragener Krankheit. Ihr Grab befindet sich auf dem Friedhof "Am Hörnli" auf der rechten Rheinseite. Ihr Grabstein symbolisiert die Heiligste Dreifaltigkeit.

Bedeutung
Adriennes Bedeutung in der heutigen Kirchensituation liegt nach Hans Urs von Balthasar darin, dass sie Weisungen und Lösungen von großer Klarheit bringt. Nicht in der Reflexion auf sich selbst, nicht durch Psychologie kommt der Mensch zur Wahrheit, sondern nur dadurch, dass er in Gottes Wahrheit lebt. Und er ist in Gottes Wahrheit, wenn er in seiner Liebe lebt. Dann fallen alle Trennungsmauern zwischen Himmel und Erde, wie schon der hl.Paulus sagte (Eph 2,14f). Die christlichen Möglichkeiten dazu im Gebet, in der Kontemplation und im Beruf hat Adrienne von Speyr aufs Überzeugendste aufgezeigt.
Ausschnitt ihrer Bücher
- Aus meinem Leben (Selbstbiografie bis 1926, selbst geschrieben)
- Die Bergpredigt. Betrachtungen über Matthäus 5-7.(1948)
- Passion nach Matthäus (1957)
- Das Johannesevangelium (4 Bände, 1948-1949)
- Das Markusevangelium
- Der erste Korintherbrief (1956)
- Der Epheserbrief (1949)
- Die katholischen Briefe (2 Bände, 1961)
- Die Apokalypse (1950)
- Magd des Herrn (1948)
- Die Welt des Gebetes (1951)
- Das Geheimnis des Todes (1953)
- Der grenzenlose Gott (1955)
- Das Angesicht des Vaters (1955)
- Die Beichte (1960)
- Das Buch vom Gehorsam (1966)
- Das Allerheiligenbuch
- Kreuz und Hölle (2 Bände)
- Das Wort und die Mystik (2 Bände)
- Das Geheimnis der Jugend (Selbstbiografie, wurde dabei in ihre jeweiligen Alterszustände versetzt)
Bis auf die Selbstbiografie „Aus meinem Leben“ wurden alle Bücher von ihr aus ihren Visionen heraus diktiert, von Hans Urs von Balthasar mitstenografiert, später in Klarschrift gebracht und in Druck gegeben.